Das Sturgeon-Urteil: Reform der Entschädigungsansprüche?

Neues aus Rechtsabteilung (3): Ab wie vielen Stunden wird eine Flugverspätung zu einem Flugausfall?

Trotz der Etablierung der Fluggastrechte in der EU-Verordnung 2004 war die Handhabung und Auslegung zunächst nicht ganz klar. Transparenz brachten erst mehrere EuGH-Urteile wie im fall Sturgeon. pixabay
Inhaltsverzeichnis
    Im bahnbrechenden Sturgeon-Urteil des EuGH vom 29.11.2009 wurde nicht nur festgehalten, ab wann eine Flugverspätung zu einem Flugausfall wird, sondern auch ab wie viel Stunden Verspätung dies gleichberechtigt zum Flugausfall behandelt werden muss.

    In dieser Rubrik stellen wir Ihnen wöchentlich ein Urteil zu Fluggastrechten aus dem deutschsprachigen Raum vor. Wir möchten Sie damit auf aktuellstem Stand zu Flugausfällen, Flugverspätungen, weiteren Komplikationen im Luftverkehr und über Fluggästen zustehende Leistungen informieren und beraten.

    Gericht entscheidet: Auch bei Flugverspätung gibt es eine Entschädigung

    Nach dem Wortlaut des Art. 6 hat der Fluggast keine Ansprüche auf Zahlung einer Ausgleichsleistung. Da sich bei einigen Fluggesellschaften Fälle großer Verspätungen häuften und teilweise das Ausmaß von bis zu 50 Stunden und mehr annahmen, stellte sich die Frage, ob eine Verspätung zu irgendeinem Zeitpunkt in eine faktische Annullierung umschlägt, auch wenn der Flug noch nachgeholt werden konnte. Diese Frage war Gegenstand des Rechtsstreits Sturgeon gegen Condor. Zeitgleich trug sich bei einem österreichischen Gericht der Rechtsstreit Böck und Lepuschitz/Air France zu. Aufgrund der hohen Ähnlichkeit in der Streitfrage beider Fälle wurden sie verbunden und für eine Leitentscheidung an den EuGH weitergegeben. (EuGH, AZ. C-402/ 07 & C-432/07)

    Der Fall: Unglaubliche 25 Stunden Verspätung

    Die Kläger flogen im Jahre 2005 mit einer mehr als eintägigen Verspätung in Toronto ab und kamen entsprechend verspätet in Frankfurt a. M. an. Sie begehrten von der beklagten Fluggesellschaft u.a. eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600 EUR pro Person. Die Kläger begründeten ihre Forderung damit, dass eine große Verspätung faktisch als Annullierung zu betrachten sei, sodass Ansprüche für die Flugverspätung analog eines Flugausfalls bestünden. In den ersten Instanzen wurde die Klage abgewiesen, da die Verordnung dem Wortlaut nach eine derartige Ausgleichszahlungen nicht zuließ.

    Der BGH setzte das Verfahren dann vorerst aus und ließ dem EuGH Fragen zur Auslegung der Verordnung zur Vorabentscheidung zukommen. Diese Fragen drehten sich vorrangig darum, anhand welcher Kriterien die Begriffe der Annullierung und der Verspätung voneinander abzugrenzen seien bzw. unter welchen Bedingungen die Begriffe in Bezug auf eine Entschädigung gleichzustellen seien.
    Ein ähnlich gelagerter Fall (Böck gegen Lepuschitz/ Air France) wurde vom HG Wien dem EuGH zur ungefähr gleichen Zeit vorgelegt.

    Die Entscheidung: Auch bei größeren Flugverspätungen Ausgleichszahlung fällig

    Der EuGH hatte daraufhin in seinem Urteil vom 19.11.2009 entschieden, dass – obwohl der Wortlaut der Verordnung das nicht vorsieht – Fluggästen in analoger Anwendung des Art. 7 Abs. 1 auch bei großer Verspätung Ausgleichszahlungen zustehen, sofern sie einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden. Die Zeitgrenze von drei Stunden entnimmt der EuGH der Regelung des Art. 6 Abs. 1 lit. c Ziff. iii VO. Der EuGH führte dazu aus: "Die Fluggäste erlangen somit einen Ausgleichsanspruch, wenn sie gegenüber der ursprünglich von dem Luftfahrtunternehmen angesetzten Dauer einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden“.

    Aus dieser Zeitspanne in Art. 6 Abs.1 lit. c Ziff. iii VO („nicht mehr als eine Stunde“ und „höchstens zwei Stunden“) wurde dann der relevante Zeitverlust von drei Stunden errechnet.

    Den Klagen in Deutschland und Österreich konnte somit stattgegeben werden.

    Die Konsequenzen: Gerichte bitten Airlines bei Flugverspätung zur Kasse

    Die Entscheidung des EuGH ist teilweise auf heftige Kritik aufgrund ihres "übermotivierten" Vorstoßes und ihrer Lesart der Fluggastrechte-Verordnung gestoßen. Angeblich würde die Auslegung des erwähnten Artikels 6 der Verordnung durch den EuGH mit dem völkerrechtlichen und daher höher einzustufenden Montrealer Übereinkommen kollidieren. Außerdem sei es falsch vom EuGH gewesen, eine Ausgleichsleistung auch bei großen Verspätungen zu etablieren. Sie hätten damit ihre "Jurisdiktionsbefugnis" überschritten. Aus der Entstehungsgeschichte der Verordnung gehe hervor, dass der europäische Gesetzgeber mit Absicht von einer einer Entschädigung von Fluggästen bei Verspätungen abgesehen hat.

    Dabei wird jedoch übersehen, dass Letzteres einen Verstoß gegen den europarechtlich höherrangigen Gleichbehandlungsgrundsatz darstellt. Das EuGH hat diesen Verstoß des Gesetzgebers erkannt und dementsprechend gehandelt. Die Überschneidung oder Kollision bezüglich einer Passage in Artikel 6 EU VO 261/04 besteht tatsächlich nur in der Theorie und ist da auch eine Frage der Perspektive. In der praktischen Anwendung beider Gesetzestexte kommt es nicht zum Widerspruch, da beide Gesetzestexte auf einen gerechtfertigten Ausgleich der Passagiere abzielen.

    Dementsprechend setzte sich die Entscheidung des EuGH und ihre Auslegung der Fluggastrechte-Verordnung durch und wird heute kaum noch von den Fluggesellschaften angefochten.

    Sollten Sie von Flugausfall oder Flugverspätung betroffen sein, lassen Sie sich nicht von der Fluggesellschaft täuschen, abwimmeln oder einschüchtern. Bestehen Sie auf Ihren Fluggastrechten. Es lohnt sich diese bis zum Ende zu verfolgen, wie mehrere Gerichtsurteile der letzten Jahre zeigen. Wenn Sie dafür weder die Zeit noch die Nerven haben, können Sie in einer Minute die Höhe Ihrer möglichen Entschädigung herausfinden. Mithilfe von Compensation2Go erhalten Sie eine Entschädigung im Expressverfahren*!

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