Die Erkrankung eines Crewmitgliedes stellt grundsätzlich keinen außergewöhnlichen Umstand dar. Verspätet sich Ihr Flug um mindestens drei Stunden oder wird kurzfristig wegen des Ausfalls der Besatzung annulliert, haben Sie Anspruch auf eine Entschädigung von bis zu 600€.
In der Regel lehnen Fluggesellschaften in diesen Fällen die Zahlung einer Entschädigung jedoch mit der Begründung ab, bei der Erkrankung eines Crewmitglieds – zum Beispiel des Piloten – würde es sich um einen außergewöhnlichen Umstand handeln, der außerhalb des Verantwortungsbereiches der Airline liegt.
Die Erkrankung von Crewmitgliedern - kein außergewöhnicher Umstand
Am 11.Februar 2004 veröffentlichte das europäische Parlament die Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Nach dieser Verordnung steht Fluggästen unter bestimmten Voraussetzungen eine Entschädigung in Höhe von 125 – 600 € von der durchführenden Fluggesellschaft zu, wenn ihr Flug erheblich verspätet war (ab 3 Stunden) oder annulliert wurde. Von der Zahlung ist die Airline nur befreit, wenn die Verspätung oder Annullierung auf einen außergewöhnlichen Umstand beruhte.
Was genau die Verordnungsgeber jedoch unter außergewöhnliche Umstände verstehen ist unklar. Aus dem Sinn und Zweck der Verordnung ergibt sich jedoch bereits, dass die Verordnungsgeber im Sinn hatte die Fluggesellschaft zur Zahlung einer Entschädigung zu verpflichten und sich nur ausnahmsweise von dieser Pflicht befreit sein soll. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Ausnahmetatbestand der eng auszulegen ist. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Verordnungsgeber ganz bewusst den Begriff „außergewöhnlich“ gewählt haben. Dieser deutet vom Wortlaut bereits an, dass es sich um einen Umstand handeln muss der außerhalb des Gewöhnlichen, also zu Erwartenden, liegt. So hat der europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 31.01.2013 in der Rechtssache C-12/11 klargestellt, dass außergewöhnliche Umstände nur vorliegen können, wenn sie „abseits des Gewöhnlichen“ sind was in Verbindung mit dem Flugverkehr nur Umstände betreffen können“ die der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens nicht innewohnen“.
- <1500kmHamburg – Mailand250€
- 1500-3500kmBerlin – Gran Canaria400€
- >3500kmMünchen – New York600€
Ebenfalls ist bei der Auslegung zu beachten, dass aus den Erwägungsgründen der Verordnung unzweifelhaft hervorgeht, dass die Verordnung vor allem den Schutz der Fluggäste beabsichtigt und diese für die enormen Unannehmlichkeiten – die eine Annullierung oder erhebliche Verspätung mit sich bringen – entschädigt wissen will. Auch geht aus dem Verordnungspunkt 14 deutlich hervor, dass außerordentliche Umstände nur angenommen werden können, wenn sie außerhalb des Beherrschbaren der Fluggesellschaft liegen. Angeführt werden dabei etwa politische Unruhen, Streiks oder nicht mit dem Flug zu vereinbarende Wetterbedingungen. Des Weiteren legt die Verordnung fest, dass die Fluggesellschaft alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen haben muss, um einer drohenden Annullierung oder Verspätung entgegenzuwirken
Außergewöhnliche Umstände | Keine außergewöhnlichen Umstände |
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Krankheit unterliegt dem Risikobereich der Fluggesellschaft
Die Gefahr, dass ein Mitarbeiter erkrankt und deswegen seine ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann, liegt unstreitig im Risikobereich der Fluggesellschaft. Auch wenn es nicht in ihrem Einflussbereich liegt, die Mitarbeiter vor Krankheiten zu schützen, so kann ihr doch zugemutet werden, rechtzeitig für Ersatz zu sorgen.
So hat auch bereits das LG Darmstadt und das AG Frankfurt entschieden. Beide Gerichte stellten unmissverständlich (sinngemäß) klar, dass es “allein der betrieblichen Sphäre der Fluggesellschaft zuzurechnen sei, wenn ein bei ihr beschäftigter Mitarbeiter erkrankt (…) Die Erkrankung eines Crew-Mitgliedes könne daher kein außergewöhnlicher Umstand, der von einer Leistungspflicht befreie, darstellen.“
Eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Thematik existiert derzeit noch nicht. Alle Verfahren wurden zuvor durch Vergleiche beendet.
Eine jüngere Rechtsprechung der Amtsgerichte (z.B. AG Rüsselsheim) lässt jedoch erkennen, dass ein pauschaler Ausschluss des Ausnahmetatbestandes „erkranktes Crewmitglied“ der Thematik nicht gerecht würde. So nimmt es etwa folgende Differenzierung vor. Erkrankt ein Crew-Mitglied am Heimatflughafen der Fluggesellschaft, dann ist es der Fluggesellschaft ohne weiteres zuzumuten, einen zeitnahen Ersatz bereitzustellen. Anders soll es jedoch sein, wenn die Erkrankung des Crew-Mitgliedes (z.B. Pilot) an einem weit entfernten Flughafen auftritt und er arbeitsunfähig wird. Wenn dann ein Ersatz vom Heimatflughafen eingeflogen werden muss und dadurch auch noch die maximale Flugzeit überschritten würde, könne man dies nicht der Fluggesellschaft anlasten (so AG Düsseldorf mit Urteil vom 27.08.2015).
Das LG Kroneburg vertritt hingegen die Ansicht, dass es nicht darauf ankomme, wo die Erkrankung auftrete. Denn die Erkrankung eines Crewmitgliedes gehöre immer zum „gewöhnlichen Unternehmerrisiko“ einer Fluggesellschaft und es läge daher allein im Verantwortungsbereich der Fluggesellschaft, entsprechende Vorsorge zu treffen.
Wenn jedoch das Sicherheitspersonal erkrankt und der Flug deswegen nicht rechtzeitig durchgeführt werden kann, dann liegt (weil das nicht mehr zum Risiko,- und auch Einflussbereich des Unternehmens liegt) regelmäßig ein außergewöhnlicher Umstand vor.
Entschädigungsanspruch bei kollektiver Arbeitsverweigerung?
Wann immer eine Belegschaft kollektiv eine Handlung durchführt, kommt der Verdacht auf, es könne sich dabei um ein Arbeitskampfmittel handeln.
Würde man die massenhaften Krankmeldungen als Streik bewerten, dann könnten sie einen außergewöhnlichen Umstand darstellen. Dies sieht schon der Erwägungsgrund 14 der Verordnung vor. Wobei auch hier der BGH verlauten ließ, dass die Berufung auf einen Streik nicht per se dazu geeignet ist von der Zahlungspflicht zu befreien. Vielmehr müsse genau geschaut werden, ob es der Airline möglich gewesen wäre (und zumutbar) sich entsprechend zu reorganisieren, um die Belastung für die Fluggäste möglichst gering zu halten.
Ein ordnungsgemäßer Streik scheidet aus (außer die Gewerkschaft würde ihn nachträglich genehmigen), da die Krankmeldungen und die damit verbundene Arbeitsniederlegung nicht durch eine Tarifpartei (Gewerkschaft) organisiert wurde.
Folglich könnte es sich nur um einen sog. „Wilden Streik“ handeln. Ein solcher liegt vor, wenn das Arbeitskampfmittel (kollektive Arbeitsverweigerung) ohne Tarifpartei ausgeübt wird. Dies dürfte jedoch seitens der Belegschaft abgelehnt werden. Denn würden sie zustimmen, sich lediglich krankgemeldet zu haben um ihre Forderungen durchzusetzen (Umstrukturierung der Airline), könnten sie sich wegen Betruges (Erhalt der ungerechtfertigten Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) strafbar gemacht haben.
In Anlehnung an die Entscheidung des West London Court, der in einem wilden Streik einen außergewöhnlichen Umstand bejaht hatte spricht vieles dafür, dass sich die betroffenen Airlines ihrer Zahlungspflicht künftig entziehen werden können.
Ob man wirklich davon ausgehen kann, dass es noch im Risikobereich des Unternehmens liegt, dass ein Großteil der Belegschaft erkrankt, kann dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall dürfte es den Gerichten schwer fallen zu begründen, welche zumutbaren (und erfolgsversprechenden Gegenmaßnahmen) die Fluggesellschaften hätten ergreifen müssen, um den drohenden Annullierungen und Verspätungen entgegenzutreten.